Lorenzo Stecchetti

1845 – 1916           Italien

 

 

In Übersetzungen von

Anton Wildgans

 

 

Tag

 

Die Sonne sengt mit Strahlen ohne Gnaden

Das dunstumflorte stoppelgelbe Land.

Der blauen Wölbung sommerlicher Brand

Läßt sich herab in schweren Hitzeschwaden.

 

Kein Blatt regt sich. Von Schwüle wie beladen

Schmachtet, was lebt, in dumpfen Schlaf gebannt,

Die Stille, die wie Angst fast übermannt,

Stört nur das schrille Zirpen der Zikaden.

 

Auf grünem Gras, in Waldes Schattenlust

Hab’ ich aus Blumen frisch den Pfühl bereitet,

Wo du gelösten Kleides schlummernd ruhst.

 

Und ich, zu dir im Kühlen hingebreitet,

Berausche mich im Anschaun deiner Brust,

Die, eine Welle, auf- und niedergleitet.

 

 

Nacht

 

Unheimliche Magie der tiefen Nacht

Verstört mein Hirn, durchströmt mir die Tunnele

Des Bluts. Ein Hauch geht über meine Seele,

Ein kalter Hauch mit Schauderns Übermacht.

 

Im Freien hört das Ohr, das spähend wacht,

Seltsam Geraun, und Grauen schnürt die Kehle;

Doch in den Häusern fronen dem Befehle

Des Schlafs die Menschen, der vergessen macht.

 

Nur fern, aus Straßendunkel hergewendet,

Vorhanggedämpft ist wo ein Licht entfacht,

Das stillen, matten Schein herübersendet.

 

Beleuchtet dieses Lichtes späte Wacht

Den wilden Krampf, in dem ein Leben endet,

Oder den Taumel einer Liebesnacht?

 

 

Sommerliebe

 

Wir liebten uns, als blauer Lüfte Schweigen

Und Sonnenglut auf blonden Ähren lag.

Die Eichen schatteten mit breiten Zweigen,

Wo deine Lust bacchantisch meiner pflag.

 

Die süßen Schwüre, die Verliebten eigen,

Die heitern Künste, die Begier vermag,

Was andere verschweigen und nicht zeigen,

Vertrauten wir dem flammenhellen Tag.

 

Und dann ward Herbst. In langen Zügen kehrten

Die Raben wieder, und auf trauten Fährten

Tu’ ich nun einsam manchen Waldesgang.

 

Die Eichenblätter, die der Frost versehrte,

Fallen im Wind. – Ach deine Liebe währte

Nur einen Sommer, einen Sommer lang.

 

 

Idol

 

Wie ein Erinnern, das schon fast dahin,

Wie frühes Trachten, von der Zeit beschwichtet,

Wie eine Leidenschaft, die längst geschlichtet,

So tratest du im Traum vor meinen Sinn.

 

Und gabst dem Blut, daß ich von neuem bin,

Dem Herzen Glut, die wandelt und verrichtet,

Und hast der Hoffnung wieder mich verpflichtet,

Der Totgeglaubten, der Verführerin.

 

Um deineswillen könnte sich erheben

Der Geist vom Faulbett, wo ich ihn vertan,

Und lauschen deiner Schritte Näherschweben.

 

Für dich erwüchs’ mir wieder Kraft und Plan,

Dem Werke mich, dem Leben hinzugeben –

Du aber gehst und siehest mich nicht an.

 

 

An ein blindes Mädchen

 

O sei nicht traurig, liebes Angesicht,

Weil dir verwehrt ist, unsre Welt zu schauen;

So hold, wie deine Träume sie erbauen,

So heiter, arme Blinde, ist sie nicht!

 

Der freche Hohn, der uns aus Augen sticht,

Das geile Tier im Schatten unsrer Brauen,

Der Roheit und Verderbnis ganzes Grauen

Verging für dich mit deinem Augenlicht.

 

Vergiß die Gaukelbilder, die du träumst!

Bewein den Anblick nicht, den du versäumst!

Wer an die Schönheit glaubt, ist wahnbesessen.

 

In Grases Grün und Blühens Tausendfalt

Birgt sich der Kröte ekle Mißgestalt –

Glücklich die Augen, die das Licht vergessen!

 

 

Tristitia

 

Die Traurigkeit entfaltet ihren Fächer,

Beschattend alle Gegend weit und breit;

Die Welt geht ein in große Müdigkeit,

Der Wind steht still, der Tag wird immer schwächer.

 

Und durch des himmels dämmernde Gemächer

Sinkt leises Weiß herab. O, wie es schneit!

Als bettete den Flügel ruhbereit

der müde Schnee auf Straßen und auf Dächer.

 

Kaum eine Stunde, und schon träumt den Traum

Des Tods die stadt, gehüllt in bleichen Flaum,

Der unaufhörlich lautlos niedertastet.

 

Doch du, mein Herz, wie lang schon ist das her,

Daß, wie der Marmor eines Grabes schwer,

Auf dir die große stumme Kälte lastet?

 

 

Zwiegespräch

 

Nie bist du fröhlich, sprach die Liebste mein,

Nie sah ich dich von Andacht fromm beseelt.

Was ist es, das dein Blick so tief verhehlt?

Warum dein Lachen kalt und hart wie Stein?

 

In dieses blonde Köpfchen, fiel ich ein,

Hat nie der Zweifel grausam sich verfehlt;

Doch ich hohnlache über diese Welt

Seit meiner ersten Zweifel Qual und Pein.

 

Glaubst du denn nicht, sprach sie, an Gott, den Herrn,

Und an den Engel, der dein guter Stern?

Und gibt dir nicht die Hoffnung ihr Geleite?

 

Da sagte ich: mein Engel, der bist du,

Mein Glauben, meine Hoffnung, meine Ruh’! –

Doch sprich von Liebe und laß Gott beiseite.

 

 

Apostrophe

 

Wir sind das trunkne Rasen der Bacchanten,

Die heilige Verzückung der Asketen,

Wir sind die Märtyrer und die Propheten,

Die Wegbereiter und Vorausgesandten.

 

Wir sind die Erdennahen und Emporgewandten,

Der Liebe Wissende und Exegeten,

Und nur aus uns Erwählten und Poeten

Brausen die Hymnen, die vom Geist entbrannten.

 

Ihr Händler, Wechsler und Geschäftemacher,

Verhöhnt gefährlichere Widersacher!

Und ist der Sinn für Wucher nicht verliehen.

 

Fälscht weiter Waren, Maße und Gewichte!

Doch uns gestattet, Rosen und Gedichte

Dem Schacher mit Gewürzen vorzuziehen!

 

 

Antike Szene

 

Die Brüste bloß, das blonde Haar gefacht

Vom Sturm des Fest’s, zu dem ein Gott geladen,

So irrest du an heiligen Flußgestaden

Und riefst Adonis! sehnend in die Nacht.

 

Dann, tief in Ähren, golden überdacht,

Sangst du ein Preislied auf der Ceres Gnaden,

Dann wieder, als die Tollster der Mänaden,

Gabst du dem Tag der Lenden nackte Pracht.

 

ich aber folgte Fackeln und Gesang

Und hetzte dich, indes ich brennen fühlte

Vom Gott das Blut, das mich zu dir hin zwang.

 

Bis ich dich hielt, mich in dein Haar verwühlte,

Dein Sträuben auf den Rasen niederrang

Und meinen Durst an deinen Lippen kühlte!

 

 

Zur Hochzeit

 

Wenn mit der Liebsten, die dein Herz erkor,

Du heimlich-fern von Bechern und Altaren

Des Festes sein wirst und aus ihren Haaren

Die Myrthe lösest und den keuschen Flor,

 

Erschauern wird sie, wissend kaum wovor,

Und mädchenhafter Angst, es zu erfahren,

Senken den Blick und holde Scheu bewahren;

Du aber neigst dich flüsternd ihrem Ohr:

 

Sie haben dir den Lohn der Seligkeit

Für Keuschheit und Gehorsam prophezeit,

Für Fleischestod und geistige Kasteiung!

 

Doch du, mein Weib nun, lös den bösen Bann

In Lust und Lachen auf! Und ich, dein Mann,

Will lügenstrafen schnöde Prophezeiung!

 

 

Heloise

 

O blasse Heliose, o Zeit, wie weit!

Da fand auch ich in Nächten deine Zelle,

Und meines Herzens urgeheimste Schwelle

Erschloß ich dir, die mir gebenedeit.

 

Wie schmiegte sich dem klösterlichen Kleid

Folgsam des Busens mädchenhafte Welle!

Und wie, durchirrt von Blutes schneller Quelle,

Bebte dein Wort, dein Leib Ergriffenheit!

 

Die grauen, schweren Schatten müder Lider

Erhielten damals andern, süßen Sinn:

Nicht Tugend mehr, nur Wonne immer wieder!

 

Auf weichem Altar, heitre Priesterin,

Gabst du das Opfer der enthüllten Glieder

Lächelnd der Liebe deines Dichters hin.

 

 

Stimme aus einem Grabe der Via Appia

 

Ich, der dir ruft, vor abertausend Jahren

Lebte auch ich und ließ mir Lust behagen.

Weinlaub und Blüten habe ich getragen

Beim Tanz der Bacchusfeste in den Haaren.

 

Doch nie wie du mit einsamem Gebaren

Irrt’ ich des Nachts, um Gräber zu befragen,

Nie hab’ ich grübelnd mich herumgeschlagen

Mit Jenseitsrätseln, die wir nie erfahren.

 

Nie bannte mich dein blasser Christus-Schemen,

Und lächelnd schied ich zu den Körperlosen.

Doch du wirst unter Tränen Abschied nehmen.

 

In eurer Gottesäcker fahlen Moosen

Und düsterm Anwuchs nisten Angst und Grämen;

Auf meinem Hügel aber glühen Rosen.

 

 

Testament

 

Und wenn ich tot bin, setzt an meinen Stein

Nicht etwa Myrthen, Efeu und Zypressen!

Auf Schmuck verzicht’ ich! Der ist bald vergessen!

Ich will vielmehr: Mein Grab soll nützlich sein!

 

Wozu noch Blumen, wenn kein Hauch, kein Schein

Des Frühlings mehr mich aufweckt, und indessen

Das Kleid, das Gott der Seele angemessen,

Verfault, zerfällt: mein Fleisch und mein Gebein?!

 

Nein, pflanzt mir eine Rebe, daß mein Staub

Die Traube nähre und das Purpurlaub

Der Edelfrucht, die Duft versprüht und Funken!

 

So bring’ ich noch als Toter Dank und Preis

Dem Leben dar und gebe tropfenweis

Der Welt den Wein zurück, den ich getrunken!

 

 

Wolken

 

O, weiße Wolken, die ihr hoch im Blauen

Windhingewiegt wie seidne Flocken schwebt,

Was will die Angst, die mir das herz erbebt,

wenn meines Kindes Augen euch beschauen?

 

Und Sehnsucht forscht empor zu blauen Auen,

Nach dem Geheimnis jener Sphinx bestrebt,

Die, alles wissend, keinen Schleier hebt

Und uns das Schicksal läßt im Ungenauen.

 

Doch, Kind, das Rätsel, das dort oben webt,

Die Wolken werden’s uns nicht anvertrauen;

Sie wissen es ja selbst nicht, ob Gott lebt.

 

Ich werde sterben, und auch dir ergrauen

Wird blondes Gold, das jetzt dein Haupt umschwebt,

Und niemals werden wir die Wahrheit schauen.

 

 

Erlösung

 

Hinauf, hinauf, wohin uns steil und weit

Kein Wünschen, noch so kühn und glühend, trüge,

erhebt sich einst zum glücklichsten der Flüge

Die müde Seele, vom Gefühl befreit.

 

Hinauf, hinauf, wo Sterne dichtgereiht

Befestigen das glitzernde Gefüge,

Fliegen wir dann in innigster Genüge

Wie Fünkchen Lichts in die Unendlichkeit.

 

Wir fliegen, fliegen hin zu ewigem Fest,

Schimmernde Geister, die kein Erdenrest

Mehr niederzieht zu irdischem Getriebe.

 

Versinken wird, was wir geirrt, gefehlt;

Und wie ein Traum verschwimmt das Bild der Welt,

Wo Haß ein Balsam war und Gift die Liebe.

 

 

Ausklang

 

Den Beifall kenn’ ich und den Hohn der Menge,

Den Schmeichelton und Faustschlag ins Gesicht,

Weiß um die Gifte, die man denkt und spricht,

Und um die Ruhe der Gewissensstrenge.

 

Ich kenn’ die Blutspur mancher Leidensgänge,

Und auch den Weg der Freude mied ich nicht;

Ich schlürfte bis zum Grund und stell’ nun schlicht

Den Becher hin, an dem ich nicht mehr hänge.

 

Und dennoch, wenn ich mich zurückbesinne

Durchmessnen Weges und vergangner Zeit,

Werd’ ich in mir nur heitern Friedens inne.

 

Ein leichter Rauch, zu Höhen flugbereit,

Blieb mir die Seele wie vom Anbeginne,

Und Bechers Neige ist nicht Bitterkeit.